Im Anschluss an literarisch-soziologische Autosoziobiografien wie jene von Annie Ernaux‘ oder Didier Eribon („Rückkehr nach Reims“) fragt das künstlerische Forschungsprojekt „Confronting Realities. Arbeit an filmischen Autosoziobiografien“ nach möglichen filmischen Verfahren, Formen und Narrativen, sich mit Fragen sozialer Herkunft, Klassenverhältnissen und -gegensätzen auseinanderzusetzen. Wie könnten filmische Autosoziobiografien aussehen, gibt es ein spezifisch filmisches „Klassenwissen“? Wie lassen sich Fragen von Klasse, Schicht, Milieu jenseits ideologisch aufgeladener Klischees im Film thematisieren? Was passiert, wenn die sozialen Herkünfte, die konkreten Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Filmschaffenden in den filmischen Prozess miteinfließen, ja selbst zum Thema werden? Welche alternativen Arbeits- und Entwicklungsansätze können hierbei gefunden werden?
Das künstlerische Forschungsprojekt ermutigte die Teilnehmer*innen dazu, Grenzziehungen, die oft die Filmproduktion bestimmen, spielerisch in Frage zu stellen: zum einen die starre Unterscheidung zwischen Fiktion und Dokumentation, zum anderen das hierarchische Gefälle zwischen Filmemacher*innen und Performer*innen. Erprobt wurden hybride Formate zwischen Fiktion und Dokumentation, die in kollektiven und nicht-hierarchischen Arbeitsprozessen zwischen Filmemacher*innen und Performer*innen entstehen sollten. Das Projekt versteht sich als Art-based Research-Projekt, in dem der künstlerische Prozess sowie die künstlerische Produktion und Praxis als Methode für Erkenntnisgewinn genutzt werden.
Confronting Realities lud Filmstudierende und Performer*innen mit diversen Hintergründen ein, die eigenen Biografien, Lebens- und Arbeitsumstände gemeinsam als Materialfundus für filmisches Geschichtenerzählen zu erkunden; den Teilnehmer*innen wurde im Rahmen eines Auftaktworkshops mit Nina Kusturica (Regisseurin, Cutterin und Produzentin), Valeska Grisebach (Filmregisseurin) und Barbara Wolram (Theaterregisseurin, Filmwissenschaftlerin und Psychologin) sowohl theoretisch-filmhistorisches als auch konkret-praktisches Rüstzeug vermittelt, um in diese Richtungen experimentieren zu können. Innerhalb des zweitägigen Workshops wurden einerseits theoretische, filmhistorische und -kritische Perspektiven diskutiert und andererseits konkrete künstlerische Arbeitsweisen vorgestellt, mit Hilfe derer autosoziobiografische Stoffe, Geschichten und Szenen entwickelt werden können (z.B. Biografie-, Schauspiel- und Körperarbeit sowie Improvisation als Verfahren der Stoff- und Dialogentwicklung).
Auf der Grundlage des Workshops entwickelten die Teilnehmer*innen in Arbeitsgruppen kurze filmische Experimente, die im Filmlabor im Sommer 2019 realisiert wurden und im Rahmen einer Abschlussveranstaltung Anfang Oktober gemeinsam gesichtet, besprochen und in den diskursiven Kontexten des Forschungsprojektes verortet wurden. Ebenso wurden die Erfahrungen im Arbeitsprozess rekapituliert, etwaige Schwierigkeiten und Chancen eines künstlerischen Forschungsprojekts als Labor und Experimentierfeld ausgelotet. Schwerpunkte der wissenschaftlich-künstlerischen Auseinandersetzung lagen auf dem Prozess, dem Ausprobieren und der Reflexion neuer Arbeitsweisen und Formate.